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Joseph Beuys und seine Solidarität mit der Mail Art-Szene der DDR

Mail Art ist Kommunikation durch Kunst per Post. Diese Kunstform entstand in der Zeit des Kalten Krieges und war für die Osteuropäer sehr bedeutend, denn ein Teil der Post konnte den Eisernen Vorhang passieren. Die Mail Art war in der DDR ein wichtiges Medium, um abseits des staatlich gelenkten Kulturbetriebs kritische Inhalte zu verbreiten und internationale Netzwerke zu knüpfen. Postkarten konnten provozieren, wenn sie Gedanken- und Reisefreiheit, Abrüstung und Umweltschutz thematisierten. Der Autor Lutz Wohlrab skizziert zum diesjährigen 100. Beuys-Jubiläum einen Einblick in eine Avantgarde, deren Akteure sowohl geographische als auch gedankliche Grenzen durchbrachen.       

VON DR. LUTZ WOHLRAB | Photo © „Kunst kommt von Kunst“ Robert Rehfeldt, 1982  

Die Mail ArtVantgarde 

Als der US-amerikanische Künstler Ray Johnson um 1962 anfing seine Kunst per Post zu versenden, war dies der Beginn einer Entwicklung, die die Kunstwelt bewegte. Johnson schuf Fotokopien von Collagen aus Zeitungsausschnitten, versehen mit kleinen Zeichnungen und Slogans, die er an Freunde und Bekannte oder ihm völlig unbekannte Menschen mit der Aufforderung verschickte, sie zu bearbeiten und an andere oder an ihn zurück zu senden. Er lud ebenfalls zu Events ein, die nie stattfanden, nur um seine Mitmenschen zusammenzubringen. Das Whitney Museum of American Art in New York bot ihm 1970 eine Ausstellung seiner Post-Aktivitäten an – und er leitete die Einladung an seine Korrespondenten weiter. Als er die New York Correspondance School of Art im Jahr 1973 schloss, war bereits ein weltweites Netzwerk entstanden, in dem es anarchisch, subversiv, provokant, verspielt und lustig zuging. Namhafte Künstler wie Joseph Beuys und andere Fluxus-Künstler nahmen daran teil. Ben Vautier entwarf die legendäre Postkarte The Postman‘s Choice im Jahr 1965, die zwei identische Seiten hat und damit dem Briefträger die Entscheidung überließ, wohin er sie senden wollte. Robert Watts schuf die ersten Artiststamps (Künstler-Briefmarken). Den Begriff “Mail Art” kreierte Jean-Marc Poinsot im Jahr 1971. Er bat damals Avantgarde-Künstler der 1960er Jahre um einen Ausstellungsbeitrag zur Paris-Biennale per Post. Im Jahre 1972 erschien dazu ein Katalog. David Zack schrieb 1973 in der Zeitschrift Art in America darüber und machte so die Mail Art in den USA populär. Im gleichen Jahr startete Ken Friedman das größte Mail Art-Projekt aller Zeiten, das Omaha-Flow-Project, mit über 3 000 Teilnehmern. Er und andere setzten die Maßstäbe, die noch heute für alle Mail Art-Projekte gelten: Keine Jury, alle Werke werden akzeptiert, keine Teilnahmegebühren, keine Rücksendung, dafür aber eine Dokumentation für jeden Beiträger.

Die Kunst von Joseph Beuys strahlte in den Osten Deutschlands aus, gerade weil er offiziell tabu war. Eine Ausstellung wurde erst postum (1988) möglich und sie zeigte den „Beuys vor Beuys“, was die autonome Szene zum damaligem Zeitpunkt nicht besonders interessierte. Joseph Beuys war als Provokateur ersten Ranges ein großes Vorbild. Als ihm ein Student bei der Fluxus-Aktion in Aachen 1964 die Nase blutig schlug, hielt er geistesgegenwärtig ein Kruzifix hoch – und es entstand ein ikonografisches Bild, welches um die Welt ging. Provokant war auch seine Gründung der „Deutschen Studentenpartei“ 1967 (da war er schon Professor), die er ein Jahr später in die „Fluxus Zone West“ umbenannte. Beinahe selbsterklärend, dass er sich auch an Mail Art-Projekten beteiligte – und gerade die Mail Artisten im Osten fühlten sich in seinen „Erweiterten Kunstbegriff“ unmittelbar einbezogen. Es entstanden geistige Verwandtschaften ersten Grades, die Klaus Staeck von Heidelberg aus mit vielen Beuys-Postkarten verstärkte, die meist als schwarz-weiße Foto-Abzüge von Hand zu Hand gingen. Auf der anderer Seite hatte Rolf Staeck, sein Bruder aus Bitterfeld, einen erheblichen Anteil an der Installation „Wirtschaftswerte“ (1980). Denn er schickte Beuys die Mengen an Lebensmitteln, Drogerieartikeln, Verpackungen und Werkzeugen, die Beuys in den Kunstkreislauf überführte, indem er sie mit „1 Wirtschaftswert“ bezeichnete und signierte. Hier knüpfte er originell und humorvoll an die Readymades von Marcel Duchamp an. Auf einen Bogen Packpapier mit dem Aufdruck „Guten Einkauf” schrieb er „Wunschdenken” (1983). Beuys war kein Sympathisant der DDR, wie schon seine Aufschrift „Falschgeld“ auf unsere Geldscheine beweist. Den Sozialismus in der DDR nannte er Staatskapitalismus, weil sich wenige auf Kosten vieler bereicherten. Den westdeutschen Privatkapitalismus fand er ebenfalls nicht viel besser. Beuys wollte die „Parteiendiktatur“ ganz überwinden. Er wollte Selbstverwirklichung und Selbstverwaltung, Direkte Demokratie durch Volksabstimmung. 

Beuys solidarisierte sich

Beuys stand auf den Adresslisten vieler Mail Art-Künstler aus der DDR. Am 5. Januar 1982 schrieb ihm Rainer Luck aus Erfurt: „Lieber Joseph Beuys, ich möchte mich für Ihre Ausstellung in der ,Vertretung‘ bedanken, es war ein großartiges Erlebnis für mich.“ Und er machte gleich den Vorschlag für ein „Beuysjahr“ 1983, denn dieses Jahr hatte die DDR-Führung nicht nur zum Karl-Marx-Jahr erklärt (100. Todestag), sondern überraschend auch zum Martin-Luther-Jahr (500. Geburtstag). 1984 kam der Ausreisantragssteller Rainer Luck wegen „illegaler Kontaktaufnahme“ ins Gefängnis. Als Beuys davon hörte, solidarisierte er sich innerhalb des Mail Art-Projekts „Mein Partner“ von Hannes Clerico.

Marx, Luther, Beuys: „weshalb nicht auch ein beuysjahr“ © Rainer Luck, 1982

An diesen Hannes Clerico schickte der Künstler Oskar Manigk eine Karte mit der Aufschrift: „Beuys kam durch“. Der Anlass war ein doppelter. Denn Beuys kam tatsächlich zur Eröffnung seiner Ausstellung 1981 in die Ständige Vertretung durch die Mauer. Durch diesen Winter kam aber nicht sein Amrock-Hahn. In einer von Rainer Luck fotodokumentierten Aktion erklärte Manigk seinem toten Hahn die Weltlage. Auf einen Fernseher klebte er eine Mauertapete und schrieb darauf „Unite!“. Damit konnte er nur die Wiedervereinigung gemeint haben, und er spielte ebenso auf Beuys’ „Filz-TV“ (1970) wie auf dessen Aktion „Wie man einem toten Hasen die Bilder erklärt“ (1965)  an.

Mail Art – „Beuys kam durch“ © Oskar Manigk/Rainer Luck, 1982

Birger Jesch konnte Beuys für sein Projekt „Please stamp for me“ gewinnen. Unter einen Stempel und den Gruß „Für immer“ zeichnete Beuys ein Dreieck, das seine Verbundenheit ausdrückt. Diese große Ermutigung machte den Dresdner stolz. Was er nicht wusste war, dass er zusammen mit Martina und Steffen Giersch, Joachim Stange und Jürgen Gottschalk im Operativen Vorgang (OV) „Feind“ bearbeitet wurde. 1984 konnte die Staatssicherheit diesen OV„erfolgreich“ abschließen und den Ausreisantragssteller Jürgen Gottschalk wegen „illegaler Kontaktaufnahme“ zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilen. Nach dem Häftlingsfreikauf erfolgte sein ersehnter Neubeginn in Hannover.

Mail Art: 1) Beitrag von Joseph Beuys zum Mail Art-Projekt von Hannes Clerico: „machts gut, findet doch sofort heraus, was (man) wir für Rainer Luck tun kann“, 1984. 2) Beitrag von Joseph Beuys zum Mail Art-Projekt von Birger Jesch, 1981.

Hommage à Beuys

Ruth Wolf-Rehfeldt wollte die DDR nicht verlassen, sie widmete Beuys ein schönes Typewriting. Die Künstlerin erfuhr in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit für ein Werk, das sie bereits kurz nach dem Ende der DDR abgeschlossen hat. Der Einfallsreichtum und die Präzision, mit der Ruth Wolf-Rehfeldt auf der Klaviatur ihrer Schreibmaschine spielt, beeindruckt die Besucher der zahlreichen Ausstellungen immer wieder neu. 2017 wurde sie zur „documenta 14“ nach Kassel eingeladen. Eine große Ehre, die Beuys so oft wie kein anderer erfuhr. In ihrem 90. Lebensjahr widmete das Lindenau-Museum in Altenburg Ruth Wolf-Rehfeldt anlässlich der Verleihung der Gerhard-Altenbourg-Preises eine große Übersichtsausstellung. 

„Homage to Joseph Beuys“ – Typewriting Art von Ruth Wolf-Rehfeldt, 1986

Ihr Ehemann Robert Rehfeldt gilt als Vater der Mail Art made in GDR. Er war ein Getriebener in Sachen Kunst, ihm glaubte man seinen Satz „Ich kenne nur noch Kunst“, und er war ein Zusammen-Arbeiter: „Deine Idee hilft meiner Idee, unsere Ideen helfen andern Ideen“, lesen wir auf einer Postkarte. Auf seine Beuys-Hommage stempelte er „Kunst kommt von Kunst“ und viele kleine Beuys-Porträts, sprich: Wir sind viele oder die Revolution sind wir.

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Photo © Lutz Wohlrab
Dr. Lutz Wohlrab (*1959 Psychoanalytiker/Verleger/Mail Artist, Berlin) ist seit 1985 an vielen internationalen Mail Art-Ausstellungen beteiligt. 1994 gab er das Standardwerk Mail Art-Szene DDR mit heraus. 2007 folgte ein Mail Artisten-Lexikon im Netz.
Literatur, Medien und historisches zur Mail Art: www.wohlrab-verlag.de https://mailartists.wordpress.com

 

chahil

Andre chahil

Art & Critique | Interviews | Boulevard

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