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Hamburg Anno 1720 – Kartograph Johann Baptist Homanns Interpretation einer wachsenden Hansestadt


Antiquarische Stadt- und Landkarten liefern Historikern und Geographen nicht nur Informationen über die Entwicklung einer Region, sondern wirken häufig, durch die wie von meisterlicher Hand umgesetzten und künstlerischen Darstellungen, als individuelle Kunstwerke. Im Stile barocker Ornamentik gehalten, fertigte der Kartograph Johann Baptist Homann aus Nürnberg um 1720, in Form eines kolorierten Kupferstiches, die Graphik „Prospect und Grundris der Keiserlichen Freyen Reichs und Ansee Stadt Hamburg samt ihrer Gegend“ an. Ausgestattet mit zahlreichen Allegorien und Hinweisen, die auf eine damals sehr mächtige Handelsmetropole verweisen, hat diese Karte bis zum heutigen Tage nichts an ihrer Faszination verloren und zählt zu den bekanntesten historischen Darstellungen der wachsenden Region um Hamburg im 18. Jahrhundert. 

VON ANDRÉ CHAHIL Photo © Chahil Art Consulting

„Prospect und Grundris der Keiserlichen Freyen Reichs und Ansee Stadt Hamburg samt ihrer Gegend“ von Johann Baptist Homann | Nürnberg um 1720. Kolorierter Kupferstich | 57,5 x 48,0 cm | Reproduktion aus dem 20. Jahrhundert
Archiv © Chahil Art Consulting0

AUSGESTALTUNG UND UMSETZUNG IM BEZUG ZUR GESCHICHTE HAMBURGS

Das Hauptaugenmerk sei auf die Besonderheit dieser Karte gelegt, die in erster Linie die Fokussierung auf die Elbregion zuerteilt bekam. Gegensätzlich zu vergleichbaren Ansichten damaliger Zeit ist der städtische Bereich nur angedeutet und nicht im Detail zu erkennen. Geradezu unbedacht klein wirkt der Stadtkern, der von den Stadt- und Schutzwällen ummantelt ist im Kontrast zu der fein sezierten Darstellung der Gesamtregion mit den einzelnen Elbinseln. Im Norden mit dem heutigen Stadtteil Eppendorf (Eppendorp) begrenzt, im Osten mit dem auslaufenden Gebiet der Vierlanden Region bis Altengamme (Olde Gamb), im Süden mit einem Teil des fürstlichen Herrschaftsgebietes des heutigen Lüneburg (Ducatus Lüneburgensis Pars) und im Westen mit dem noch nicht geteilten Hauptarm des Elbstromes nahe Finkenwerder. In einem ungefähren Maßstab von 1:60.000 verdeutlicht diese Karte die besondere Ausdehnung und Ausrichtung zum Wasser. Dieser Kunstgriff war möglich deshalb gewählt, um den Reichtum und das noch vorhandene Potenzial der Handels- und Wirtschaftsregion mit ihren Wasserverkehrsstraßen zu bekräftigen.

Westliches Inselgebiet um Hamburg

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Der Stadtwall von Hamburg mit dem davor gelagertem Grasbrook. Altona befand sich ausserhalb des Stadtwalles, war eine eigene Stadt und von 1664-1864 unter dänischer Herrschaft. 

Östliche Inselteile um Hamburg mit dem heutigem Vierlanden-Gebiet

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Archiv © Chahil Art Consulting

Gleichsam in dieser Strenge ist der Stadtprospekt, die Ansicht aus der Zentralperspektive, von der Elbseite gehalten. Homann stimmt mit einer Inschrift auf einer Banderole unter einem barockem Ornament, die den Horizont zur Stadt in einem Panorama förmlich öffnet, den Betrachter auf das treibende Leben dieser Stadt ein: „Prospect der Stadt Hamburg gegen Mittag anzusehen“. Dieser Horizont ist mit den bedeutendsten Kirchen der Stadt damaliger Zeit ausgestattet. Zahlreiche Darstellungen wie u.a. die 1682 entstandene sternförmige Verteidigungsanlage „Sternschantz“, die durch einen Laufgraben mit dem Wallring verbunden war, werden in dieser Karte geradezu lebendig. Gegenwärtig durchzieht dieses Gebiet ein belebtes Szeneviertel. Der danebenliegende ehemalige „Grundelhof“ war zu jener Zeit ein landwirtschaftlicher Betrieb der zur Klosteranlage Harvestehude gehörte. In diesem Betrieb gewann man vorwiegend Honig – dieser stellte ein Immenhof dar, der die Stadt mit natürlichem Süßungsmittel versorgte. Der Name Grindelhof, im ehemalig jüdischen und heutigem Universitätsviertel, wurde dieser Straße erst 1858 zuerteilt. Sogar das 1618 erbaute Werk- und Zuchthaus für verhaltensauffällige Mitbürger, Bettler und Gauner hat Einzug in diese Karte erhalten, welches geographisch exakt zwischen den Kirchen Sankt Petri und Sankt Jacobi nahe der Binnenalster lag. Dieses Schreckenskabinett, so berichten Zeitzeugen, soll derart unlebenswert gewesen sein, dass manch ein Insasse alles unternahm, um den Freitod wählen zu können oder mit dem Tode bestraft zu werden. Das „Plaudern und Toben während des Gottesdienstes kleiner Jungen“ und die „Hurerey junger Frauen“ reichte nach damaligem Rechtsverständnis manchmal dafür aus, um inhaftiert zu werden. Diese Anstalt existierte ganze 242 Jahre, in der Folterung neben sehr harter körperlicher Strafarbeit zur Tagesordnung zählte. Der Große Brand in Hamburg von 1842 hatte dieses Gebäude im Flammenmeer des Stadtkerns regelrecht eingeäschert. Auch das alte Rathaus, welches in der heutigen Innenstadt nahe der Trostbrücke in einem Backsteinbauwerk mit Renaissanceanbau verortet war, ist auf der Karte neben der eingezeichneten alten Börse zu erkennen. Dieses Gebäude ist ebenfalls dem Brand von 1842 gewichen und wenige hundert Meter entfernt am heutigem Ort im Baustil des Historismus wieder aufgebaut worden. Der im Jahre 1805 abgerissene Hamburger Mariendom ist auf der Karte links neben der St. Petri Kirche verzeichnet. Dieser musste im Zuge der Säkularisierung und Reformierung Hamburgs abgerissen werden, um der damaligen Kirchenverfassung gerecht zu werden. Die Kirche des Hospitals zum Heiligen Geist der Pilger, das Dominikanerkloster St. Johannis und die Franziskaner Kirche Magdalenen, wurden ebenfalls am Anfang des 19. Jahrhunderts im Zuge von Umstrukturierungen und aufgrund ihrer Baufälligkeit abgetragen.  Die anno 1399 errichtete St. Gertruden-Kapelle, ganz rechts im Stadtprospekt verzeichnet, fiel dem großen Brand von 1842 am dritten Tage der Flammen“, ebenfalls zum Opfer. Vor den äußeren und sehr markant dargestellten Festungsanlagen, ist das Gebiet des heutigen Grasbrook (Dat Gras Brock) gezeichnet. Bis ins 19. Jahrhundert war dieses Gebiet einer sumpfigen Insellandschaft gleich, die ausschließlich als Viehweide diente. Sowohl auf diesem Brook als auch auf den weiteren Inselteilen mit Regionen landwirtschaftlichen Betriebes sind Darstellungen von Pferd, Weidevieh, Bäumen, Wälder, Höfen und Kirchen in Miniaturskizzen einradiert.

Der Prospekt mit der Zentralansicht auf die Stadt

Das Zuchthaus gelegen zwischen St. Petri und St. Jacobi, daneben der Hamburger Dom, welcher 1805 abgerissen wurde.

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Archiv © Chahil Art Consulting


ALLEGORISCHE VERWEISE IM KONTEXT ZUR HISTORIE HAMBURGS

Dem Grasbrook vorgelagert, deutet Homann mit der Darstellung zahlreicher Handels- und Kriegsschiffstypen auf den stark ausgebauten und gut strukturierten Binnen- und Fernhandel hin. Ausufernd dieser Szenerie, zur rechten wie zur linken Seite, verweist der Kartograph mit allegorischen Darstellungen, durch Zuhilfenahme eines schützenden Götterapparates, auf die handels- und seetreibenden Tätigkeiten der Stadt. Unten links in der Graphik erkennen wir beispielsweise Merkur, den Gott des Reisens und des Handels, der die schützende Stadtheilige Hammonia kränzt. Es ist ihr großes und langes Gewand, welches in die Fässer, Ballen und Behältnisse fällt, die die kostbaren Handelsgüter wie portugiesisches Öl aus Lissabon, englisches Leinen, Seidenstoffe, holländischen Käse, spanischen Wein, Sekt und Tran beinhalten. In ihren Händen ein Labarum, mit versinnbildlichter Hammaburg und einem krönendem Reichsadler. Dies ist ein Verweis darüber, dass über die Stadt die alleinige kaiserliche Gewalt herrscht. Hinter diesem Ensemble ein hoheitlicher Obelisk mit selbstverzehrender Schlange als Zeichen der Vollkommen- und Eigenständigkeit der Stadt und dem Monogramm „UH“, welches auf die lateinische Zuweisung Urbs Hammonis referiert. In ihrer Hand ein großes, in Leder gebundenes Buch, verweisend auf die Weisheit und Gerechtigkeit. Hammonias Brust wird von dem Auge der Vorsehung geziert, ein gängiges Symbol barocker Zeit für die Allgegenwart Gottes und Legitimation ihrer Funktion als Schutzpatronin. Die weiteren allegorischen Beigaben von Fascis (Liktorenbündel), Anker, nautischer Windrose, Kanonenrohr, Lanze und Globus verweisen ebenfalls auf Führungs- und Verteidigungsstärke mit dem Willen zur globalen Expansion. Neben Hammonia zur Linken, erstrahlt ihr auf Augenhöhe ein Apoll, der ihr nicht nur die schönen Künste und Weissagungen bringen, sondern darüber hinaus die Stadt vor kommenden Pestepidemien schützen möge. Die Pest hat Hamburg 1521 für fünf Monate, in den 1350er Jahren über einen längeren Zeitraum und von 1712-1714 heimgesucht. In den 1350er Jahren starben ganze 6.000 Menschen. Das entsprach zu jener Zeit fast die Hälfte der Einwohner Hamburgs.

Auf der gegenüberliegenden Seite ist im Stil des Manierismus gehalten, ein Abbild Minervas (Athene) zu erkennen, die ein von einer Nymphe und einem Tritonen getragenes Stadtwappen schützend greift und eine corona navalis (hier: Schiffskrone mit 12-fachem Bug) zuerteilt bekommt. Ikonographisch ist Minerva u.a. als Schutzgöttin der Städte, der Weisheit, der taktischen Kriegsführung und des Schiffbaus anzusehen und rundet somit das allegorische Programm stimmig ab. Auch die Stadt vor ankommenden Hochwasserkatastrophen zu schützen, sollte in diesem Kontext berücksichtigt werden. Diese haben bereits in vorherigen Jahrhunderten das Hamburger Umland mehrfach verheerend heimgesucht. Im oberen Segment der Graphik finden wir eine Legende, die neben Kirchen- und Gebietsangaben auch die Bezeichnungen der Stadttore und einzelnen Bastionen wiedergibt. Die 21 fünfeckigen Hauptbastionen, die in die Schutzmauer kreisförmig um die Stadt angelegt worden sind, tragen Namen der damals amtierenden Ratsherren. Wollte man beispielsweise in den 1720er Jahren den Verteidigungsstützpunkt nahe des heutigen Dammtor Bahnhofes passieren, so musste man die Bastion „Petrus“ aufsuchen. Oben rechts in der Graphik entfalten uns Tritonen – Meeresgötter der Antike, die jeweils zur Hälfte aus Mensch und aus fischartigem Meeresgetier dargestellt werden – eine detaillierte Ansicht der Elbmündung, in der die Außenstelle „Amt Ritzenbüttel“ verzeichnet ist. Dies war seit 1393 für über fünfhundert Jahre ein für die Hansestadt bedeutender vorgelagerter Posten außerhalb der Stadtmauern nahe der Nordsee. In einer weiteren Fassung dieser Karte war an dieser Stelle der Hinweis des behördlichen Schutzes gegen unbefugter Vervielfältigung Cum Privilegio Sac. Caes. Majestatis“ vermerkt. Heutzutage entspricht es der Funktion eines Copyright.

Links, allegorische Verweise und wertvolles Handelsgut

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Rechts, allegorische Verweise mit schützender Funktion

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Legende über Orte, Kirchen und Bastionen, nummeriert und buchstabiert

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Tritonen verweisen auf den Stützpunkt „Amt Ritzenbüttel“ nahe der Nordsee

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Archiv © Chahil Art Consulting

JOHANN BAPTIST HOMANN

Die uns hier vorliegende Ansicht Hamburgs aus den 1720er Jahren ist eine der künstlerisch ausgeprägtesten seiner Zeit in barocker Tradition. Der deutsche Kartograph, Verleger und Kupferstecher J.B. Homann (*1664-1724) gründete 1702 einen Verlag für Kartographie in Nürnberg, mit dem er mehr als 200 Karten und Globen für seine Auftraggeber fertigte. Zu seinem Oeuvre zählt ein großer Atlas, verfasst in 126 einzelnen Blättern aus dem Jahre 1716. Weitere außergewöhnliche Karten mit seiner Handschrift sind u.a. eine Phantasiekarte einer fiktiven Vorstellung des „Schlaraffenland“, sowie eine graphische Darstellung der „Weihnachtsflut in Niederdeutschland“ aus dem Jahre 1718. Homann unterbot seiner Zeit viele bedeutende Verleger des europäischen Raumes im Preis bei gleich hoher Qualität und besonderer individueller Ausführung. Hierdurch wurde er einer der einflussreichsten Kartographen des 18. Jahrhunderts. Durch diese herausragende Leistung wurde Homann im Jahr 1715 zum Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin gewählt und darüber hinaus zum kaiserlichen Geographen am Hof Karls VI. ernannt. Sein von ihm gegründetes Unternehmen wurde von den nachfolgenden Generationen erfolgreich weitergeführt bis es nach Ableben des letzten Inhabers im Jahre 1848 versiegte. In der Zeit der Nachfolger entstanden unter dem Signé „Homanns Erben“ weitere Karten mit dem Stadtbild Hamburgs.

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Meister-Kartograph Johann Baptist Homann (*1664-1727) | Radierung von J.W. Winter nach einem Gemälde von J. Kenckel, ca. 1720

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Andre chahil

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