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Der Architekt Jacopo Sansovino und die Loggetta von 1540 in Venedig


Gelangt man mit dem Vaporetto zur Piazetta des Markusplatzes in Venedig, so ist man von den zahlreich historisch bedeutenden Gebäuden der Gotik und der Renaissance der ehemaligen Seerepublik umgeben. Im Zentrum des Markusplatzes befindet sich der „Campanile“, der freistehende Glockenturm der Kirche San Marco, der in den letzten Jahrhunderten auch als Leuchtturm für ankommende Seefahrer fungierte. Unterhalb des im 12. Jahrhundert fertiggestellten und 98,6 Meter hohen Glockenturmes – und somit das höchste Gebäude der Lagunenstadt – befindet sich auf einer Seite eine „Loggetta“ mit allegorischer Ausschmückung. Der Renaissance-Architekt Jacopo Sansovino, der Venedigs Stadtbild bedeutend mitgeprägt hat, ist ihr Erbauer. Mit dem Professor Volker Plagemann besuchte ich diesen Ort im Rahmen seiner Recherchen zur Architekturgeschichte im Veneto. Es ist ein kleines Gebäude, historisch bedeutsam. Hier seine Geschichte.

VON ANDRÉ CHAHIL | Photo © Christian Speelmanns

Funktion

In den vergangenen Jahrhunderten diente das Gebäude dem venezianischen Adel (Patrizier) als Versammlungs- und Aufenthaltsort. Bis zum Jahre 1581 war die Loggetta jeden Morgen bis um zwölf Uhr Mittags geöffnet. Danach versiegte diese Tradition. Die Räumlichkeiten waren ab dieser Zeit nur Sonntags zugänglich und ausschließlich als Tagungsstätte vorgesehen. Die Prokuratoren, die höchsten Beamten des alten Venedig, tagten in diesem Gebäude und hörten die Mitglieder des Großen Rates an, die ihre Gesetzesvorlagen präsentierten. Dieses Vorgehen war notwendig, da der Große Rat über keine eigene Legislative verfügte. Darüber hinaus stand die Loggetta jederzeit den Prokuratoren als geschützter Versammlungsort zur Verfügung.

Architektur

Die Grundform des Gebäudes liegt dem Konstrukt eines liegenden Dreiecks zugrunde. Die nach vorn ausgerichtete Balustrade mit der Freitreppe ist hierfür maßgebend, die mit der Außenterrasse zum gesamten Komplex einkalkuliert wird. Die äußere Fassade lässt sich in drei Zonen einteilen, von unten nach oben: die Arkaden-, die Attika- und die nach oben auslaufende Balustradenzone. In der Vertikalen gliedert sich der Bau in drei Achsen, die im Unterbau jeweils durch drei gleich große rundbogige Öffnungen (Eingänge) markiert werden. Diese werden jeweils von einem freistehenden Säulenpaar gerahmt, rhythmisierend in Abwechslung zu eingelassenen Nischen. Zwischen der Arkaden- und der Attikazone zieht sich, über den Säulen hervortretend, ein komposites Gebälk, welches bei diesem Bau keine tektonische (tragende) Funktion einnimmt. In der vertikalen Mittelachse führen fünf Stufen zum Haupteingang hinauf. Die äußere Fassade der Loggetta ist ursprünglich polychrom (mehrfarbig): weißer Marmor, grüner und roter Stein. Die Arbeiten zu diesem Gebäude begannen 1537 und zogen sich bis zu ihrer Vollendung bis ins Jahr 1546 hin, als die letzten Bronzefiguren in die Fassade aufgestellt wurden. Der Bau selbst hatte bereits 1540 seine Fertigstellung erfahren. Die niedrige Balustrade, die die Loggetta von der Piazetta abgrenzt, wurde in der Dekade von 1653 bis 1663 errichtet. Der gesamte Bau ist durch Schmuckreichtum, Reliefs und Skulpturalität gekennzeichnet.

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 La Loggetta del Sansovino Anno 1540 auf dem Markusplatz in Venedig vor dem Campanile, dem freistehendem Glockenturm der Kirche San Marco | Photo © Christian Speelmanns

Allegorische Programm und Ausschmückung

In dem allegorischem Programm der Loggetta, getragen durch Reliefs und Skulpturalität, wird Venedig mit all den ihr innewohnenden Tugenden – Geschicklichkeit im Krieg und beim Handel, politische Eintracht, Eloquenz ihrer Protagonisten – verherrlicht, ihre Friedensliebe und die besondere Protektion durch ihren Apostel Markus versinnbildlicht dargestellt. Zu den wichtigsten Vertretern der Loggetta, die zu dieser ikonographischen Deutung führen, gehören u.a. im Relief: Jupiter, Venus, Venezia in der Gestalt der Justitia. Des weiteren sind Götterskulpturen vorhanden, diese jeweils ca. 155 cm an Größe: Minerva, Apollo, Merkur und Pax.

Jupiter als Personifizierung Kretas und Venus als Regierende über Zypern geben einen Hinweis auf die beiden wichtigsten Besitztümer der alten Republik Venedig. Die Göttin Minerva verweist auf die Weisheit des venezianischen Adels und des Senates. Darüber hinaus ist sie ikonographisch als die Schutzpatronin aller Städte, der taktischen Kriegsführung und des Schiffbaus anzusehen. Apollo, Gott der Musik, Dichtung und des Lichtes, repräsentiert die geistige und kulturelle Komponente der Republik. Unter anderem darf die Verbindung von Musik und Dichtung als Referenz zur Harmonie zwischen der Regierung und der politischen Eintracht verstanden werden. Merkur, der römische Gott des Handels und des Reisens liefert hier einen Hinweis auf die Wirtschaftskraft und Handelsmacht des Venedigs der Renaissance. Pax symbolisiert den Frieden, von dem man meinte, ihn in der Gemeinschaft der Republik damaliger Zeit gefunden zu haben.

 

Linke Seite: Nische mit Götterskulptur Minerva in der Größe von ca. 155,0 cm. Über dem verkröpftem Gesims befinden sich Reliefplatten mit allegorischen Verweisen | Photo © Christian Speelmanns

Wiederaufbau

Die Loggetta wurde über die Jahrhunderte mehrfach in Mitleidenschaft gezogen, wenn in Gewitterstürmen der Blitz in den dahinter stehenden Markusturm einschlug und Steinschlag verursachte. Der größte Schaden entstand im Jahre 1902, als in den frühen Morgenstunden des 14. Juli der Markusturm vollständig zusammenstürzte und die Loggetta unter sich begrub. Der komplexe Wiederaufbauprozess nahm ganze zehn Jahre in Anspruch, bei dem die Hälfte der ursprünglichen Materialien wiederverwendet werden konnte.

Campanile Einsturz 14 Juli 1902 - Fotograf unbekannt

14. Juli 1902: Unwetter verursachten den kompletten Einsturz des Campanile (Markusturm) – die Loggetta ist hierdurch zerstört worden | Fotograf unbekannt

Die Loggetta als Motiv auf einem Postwertzeichen, Maße: 4,0 x 3,0 cm, Ausgabe: Rom, 1970 | Archiv © André Chahil

 

Jacopo Sansovino und sein Wirken in Venedig

Der im Jahre 1486 in Florenz geborene Jacopo d´Antonio Tatti übernahm während seiner Lehre bei dem Bildhauer Andrea Sansovino seinen Beinamen und begleitete ihn zu ersten Aufträgen nach Rom. In dieser Zeit studierte der junge Nachwuchsbildhauer antike Architektur und pflegte den Kontakt zu einflussreichen Künstlern der Renaissance wie Michelangelo, Raphael und Andrea del Sarto. Große Aufmerksamkeit erhielt Sansovino durch die Förderung des zu jener Zeit bereits sehr bekannten Malers und Baumeisters Donato Bramante. Dieser verhalf Sansovino zu einem Auftrag für Papst Julius II. (1443-1513). Jener Papst gab ebenfalls dem begabten Michelangelo den Auftrag für die Ausgestaltung der Decke der sixtinischen Kappelle im Vatikan. Nach weiteren Jahren, abwechselnd mit Aufträgen in Florenz und Rom, übernahm Sansovino einen Auftrag in Venedig für die Neugestaltung und Restaurierung der Hauptkuppel der Kirche von San Marco. Sansovino erhöhte diese und rettete sie somit vor dem Einstürzen. Dieser Erfolg verhalf ihm zu einer Empfehlung durch den Dogen Andrea Gritti – der 77. Doge der Republik Venedig zwischen 1523 und 1538 – zum „Protomagister“. Dieser Titel ernannte Sansovino zum höchsten Bauherrn, zum führenden Bildhauer und Architekten Venedigs. Im Jahre 1529 begann der Architekt mit der Neugestaltung der „Piazetta“ und der „Piazza“, dem gepflasterten Bereich des heutigen Markusplatzes. Neben zahlreichen Skulpturen und weiteren Bauwerken, gestaltete er u.a. die „Libreria Di San Marco“, die „Zecca“ und die Kirche „San Francesco Della Vigna“. Der Lagunenstadt widmete er seine Künste bis zum Ableben im Jahre 1570. Sansovino zählt heute, neben Andrea Palladio und Vincenzo Scamozzi, zu den einflussreichsten Architekten der venezianischen Renaissance.

 

Jacopo Sansovino

Jacopo Sansovino nach einem Portrait von Jacopo Tintoretto, 1560-70 | Uffizien, Florenz

Literaturempfehlung zur venezianischen Renaissance-Architektur

ULMER, Christoph, Andrea Palladio, Verlag Magnus 2011 | MURARO & MARTON, Villen in Venetien, Verlag Könemann 1999 | FRANZ, Rainald, Vincenzo Scamozzi (1548-1616), Verlag Michael Imhof 1999 | MARTON, WUNDRAM & PAPE, Palladio – sämtliche Bauwerke, Verlag Taschen 1988 | HOWARD, Deborah, Jacopo Sansovino: Architecture and Patronage in Renaissance Venice, University Press, Yale 1975 | VENEZIA L´ARTE NEI SECOLI – Venedig, die goldenen Jahrhunderte, Sammlung von Fachartikel mehrerer Autoren, Magnus Edizioni, Udine 1997 | HUSE & WOLTERS, Venedig. Die Kunst der Renaissance – Achitektur, Skulptur, Malerei 1460-1590, Verlag C.H. Beck 1996 | PLAGEMANN, Volker, Die Villen des Andrea Palladio, Architektur- und Reiseführer, Verlag Ellert & Richter 2012 | HALDER, Lucia, Jacopo Sansovino: La Loggetta,  Studienarbeit, Grin Verlag 2005.
 

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Andre chahil

Art & Critique | Interviews | Boulevard

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